Am Morgen im Bus schauen sich alle um, nicht nur ich. Wer trägt violett? Einige. T-Shirts, Strümpfe, Trainerhosen. Ich selber habe am Morgen in der Babykleiderkiste gewühlt und mir ein zweifelhaft riechendes violettes Nuscheli an den Rucksack geknüpft. Das passt richtig gut. Für mich persönlich ist der Mutterschaftsurlaub als Systemfehler nämlich die Elternschaft allen Übels.
„We were feisty when we were girls“, sagt Jane Fonda im Netflix-Film über Second-Wave-Feminismus. So ging mir das auch. Ich fühlte mich nie benachteiligt. Bis zu dem Moment im Spital nach der Geburt des ersten Kindes, als es hiess, mein Mann müsse bald nachhause, die Besuchszeiten seien vorüber. Und ich dann sechzehn Wochen zuhause blieb, lernte, warum ein Baby wann schreit, welche Kleidergrösse es trägt, und wie man Flaschen sterilisiert. Ich lernte on the job, ich sammelte Erfahrung, und wollte meine Arbeit gut machen. Mein Mann half mit, konnte aber weniger Zeit investieren. Also wurde ich zur Baby-Expertin und er zum Zulieferer. Logisch.
Ein Fakt, der weder mit Biologie oder Genetik zu tun hat, nicht mit Geschlecht oder gender, nicht mit unserer Partnerschaft, sondern schlicht mit dem fehlerhaften System. Ein Tag Vaterschaftsurlaub. Zwing mal eine Expertin, die Arbeit an den Schnupperstift abzugeben, und dann trotzdem die Verantwortung dafür zu tragen. Zwing die Schnupperstiftin zu behaupten, sie wisse etwas besser als der Experte. Warum soll das zuhause funktionieren, wenn es auf die Berufswelt übertragen lächerlich klingt?
Man zwingt die Mütter, Expertinnen zu werden, und zwingt die Väter, Schnupperstifte zu bleiben, alles andere bleibt im gegenwärtigen System unglaublich harte Arbeit für beide Seiten. In meinem persönlichen Fall hat sie sich ausgezahlt. Wir sind beide Experten geworden, auch wenn ich von aussen häufig immer noch den unfreiwilligen Titel der Chef-Expertin zugedacht bekomme (weil ich ja die Frau bin).
Am Bahnhof hat es violette Konfetti geregnet, Strassen wurden in „Care-Work-Wege“ umbenannt. Im Impact Hub treffen sich Unternehmerinnen zum Zmorge und zur Diskussion. Es werden Zahlen verlesen und Geschichten erzählt, eine 91jährige Bäuerin habe sich bei der Vorbereitung des Streiks engagieren wollen, sie habe nie gearbeitet (nur auf dem Hof und Kinder grossgezogen) und deshalb kein Anrecht auf AHV, 91% der Führungspositionen in der Schweiz sind von Männern besetzt, Lohnunterschiede bei gleicher Arbeit. Die Stimmung ist aufgeladen, aber positiv.
Ich gehe arbeiten. Der Bundesplatz sei schon voll, heisst es am Mittag. Ich arbeite länger als bis 15.24, wie es sich gehören würde, aber um 16h verabschiede ich mich aus dem Coworking und laufe Richtung Bundesplatz. Violett überall, mir kommen die Tränen, wenn ich die kleinen Mädchen sehe, die Teenies, die älteren Frauen, von überall her laufen Gruppen ein, die Hebammen, die Frauen von der Frauenklinik mit eigenen T-Shirts, man wünscht sich mehr Komponistinnen auf den Bühnen und gender equality (when do we want it) NOW!
Der riesige Tross drängt vorwärts, bis wir zu laufen beginnen, ist der Anfang des Zugs schon fast zurück. Ein SMS aus den Staaten besingt die Liebe und die Schweiz, der Frauenstreik sei in allen Medien. Mein Vater fragt nach, ob ich auch dabei sei? Natürlich. Das findet er gut. Ich denke an meine Töchter und an meine Mutter und werde wieder emotional, und in den Gesichtern um mich herum sehe ich, dass ich nicht die einzige bin.
Es fühlt sich an, als ob die Gesellschaft vorwärts drängt. Machen wir weiter.